SCHREI AUF e.V.

Imagination und Projektion

05.10.2019, Kulturkram e.V., Performance beim Electronic Art Open Air

Projektleitung: Laura Heyer

Kooperationspartner: Sacid Ercetin, Kulturkram e.V.

Im Rahmen des Electronic Art Open Air am 05.10.2019 in den Räumen des Kulturkram e.V. lud der Veranstalter Sacid Ercetin Laura Heyer ein, an diesem Tag zu performen. Die Ausgangsidee war, einen Track des Veranstalters und DJs live performativ zu begleiten und das Thema des Menschen als Projektionsfläche aufzugreifen. Laura Heyer entwickelte anhand dessen die Idee mit einer langen weißen Verschleierung zu arbeiten, welche lediglich Körperformen und Körperteile erahnen lässt und alle Details verdeckt. Allein durch diese Kostümierung sollte die Performerin als Projektionsfläche der Zuschauer fungieren. Gemeinsam mit der Tanzpädagogin Jessica Scheulen wurde angepasst auf den Track von Sacid Ercetin eine Slow Motion Tanzperformance erarbeitet. Ziel der Arbeit war es, Figuren darzustellen, die den Körper der Performerin „entmenschlichen“ und somit Raum für Imagination & Projektion bieten. Ein Spiel zwischen Andeutung und Verfremdung. Im zweiten Teil der Performance plante die Performerin, sich ohne zeitliche Begrenzung vor eine weiße Wand zu stellen und sie anzusehen. Dies sollte ein Bild darstellen, das mehrere Wege der Projektion und Imagination zulässt. Zum Einen werden die Zuschauer durch die Aktion, durch das „Nichts-Tun“ der Performerin, durch die Verkleidung, die nur Umrisse verrät und durch die weiße, leere Wand dazu angeregt, zu projizieren, einen Sinn, eine Erklärung, eine Assoziation zu finden. Je nachdem welche Projektion, welche Imagination sich beim Zuschauer entwickelt, handelt er/sie. Die Gedankenwelt, die Vorstellung einer Person ist von außen nicht erkennbar bis es zu einer Handlung kommt. Es ist jedoch möglich zu erahnen, zu glauben und sich vorzustellen, welche Vorstellung eine andere Person hat und damit entsteht erneut eine Projektion. Zum Anderen war das „Anstarren“ der weißen Wand auf der Seite der Performerin ein Experiment. Was würde passieren, wenn man sich stundenlang vor eine weiße Wand stellt? Sieht man etwas, wenn es nichts zu sehen gibt? Nichts außer das Weiß als Farbe der Leere. Die Performance war außerdem so konzipiert, dass dem Zuschauer sinnbildlich eine weiße Leinwand zur Verfügung stand, die er/sie gestalten darf.

Mit der Tanzperformance begonnen, startete die Performance beweglich und dynamisch und ging im zweiten Teil in eine fast schon beklemmende Unbeweglichkeit hinüber. Die Akzeptanz über die Entscheidung, nun vor einer weißen Wand zu stehen, sich nicht zu bewegen, nirgendwo anders hinzusehen und nicht zu wissen, was hinter einem passiert fiel die erste Stunde lang sehr schwer, was ebenfalls die Konzentration störte. Signale des Körpers werden verstärkt wahrgenommen wie z.B. das allmähliche Schmerzen der Beine, die Anspannung und der erhöhte Herzschlag aufgrund der Nervosität. Nach einer Stunde jedoch begann der Prozess, sich mit der Situation abzufinden und der Versuch, sich zu fokussieren, was nach und nach immer besser funktionierte. Die Signale des Körpers und die Nervosität waren plötzlich nicht mehr spürbar. Das Gehirn begann zu arbeiten, die Augen begannen zu arbeiten und das weiß der Wand wurde mal zu einem gelb, mal zu einem grün, mal zu einem blau und mal verschwamm alles ineinander wie eine Öl-Projektion. In diesen Farben ergaben sich auch allmählich Umrisse, die zu Assoziationen führten und der automatischen Entwicklung von Bildern. Ein Kino ohne Film. Alles, was es brauchte, war der Beschluss, sich auf alles einzulassen, was kommen würde und so wurden die Bilder immer prägnanter. Manche führten zu Panik, manche führten zu Trauer und genau in diesem Moment begann eine Reise durch die Gedankenwelt, durch verschiedene Emotionen, eine Reise ins Innere fast wie ein Rausch. Ein Zustand in Fantasie, Traum, dem Schlaf ähnelnd. Es war eine Herausforderung, sich der Situation und den Bildern anzunehmen, doch je mehr Energie der Realität entzogen wurde, desto intensiver wurde die Reise ins Innere. Zittern, Atemprobleme, Weinen- all das galt es zu überwinden. Und es funktionierte. Ab einem gewissen Zeitpunkt (etwa nach 2,5h) folgte Ruhe, Gewöhnung. Das Sehen der Bilder, die für sonst niemanden sichtbar waren, war plötzlich „normal“ und das Gefühl von Normalität führte zu der Zurückgewinnung der Kontrolle. Der Wille kam dazu und damit die Macht über die Bilder der Vorstellung. Der Körper war längst nicht mehr spürbar.

Aus Sicht der Performerin ist es schwer, zu beschreiben, was sich in der „Realität“ ereignete, wie sich die ZuschauerInnen verhielten. Hin und wieder versuchte jemand, mit der Performerin zu sprechen, es wurden Thesen aufgestellt, es wurde diskutiert und einmal wurde Acryl-Farbe auf die weiße Wand geschmiert. Ein intensiver Moment war, als ein schwarz gekleideter, mit einem schwarzen Tuch verhüllter Mann hinter der Wand hervorkam. Er hatte dort wohl schon eine Weile gestanden und ebenfalls die Wand angestarrt- allerdings von der anderen Seite aus. Es stellte sich später heraus, dass es sich um den Performance- und Klang-Künstler „Killer Lady“ handelte, der als Gast gekommen war.

Nach vier Stunden war die Performance beendet. Beendet hat sie nicht die Erschöpfung und nicht der Schmerz in den Beinen, sondern eine Form von Selbstachtung. Als die Performerin das weiße Tuch herab nahm, war der Raum fast leer und draußen war es dunkel.

Die Performance war aus Sicht der Performerin eine nachhaltige Erfahrung, eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst- zunächst gewaltvoll und zum Ende hin liebevoll- und hat nachhaltige Veränderungen angestoßen. Welche Wirkung beim Publikum angekommen ist, kann hier nicht aufgeführt werden, weil am Ende kein Austausch mehr möglich war.

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