SCHREI AUF e.V.

Eröffnung SCHREI AUF- Hauptquartier

Datum,Ort: 13.09.2019, Mönchengladbach, Waldhausener Straße 62

Projektleitung: Laura Heyer

Beteiligte Person/en (mit Rollen) : Doro Frings, Anja Abels, Tim Koehler, Manuel Brockers, Leonie Dahmen, Janosch Marek, Andre Freitag, Jonas Gladbach, Henry Skibbe

Kooperationspartner: Lapis Exilis, Köntges, Vakanz (Initiative Altstadt)

Schon während der ersten Projekte merkten wir immer wieder, wie wichtig und nötig der Zugang zu nutzbaren Räumlichkeiten in der Kunst und in der Kulturarbeit ist. Erst recht im Bereich Theater und Performance Kunst, zwei Kunstformen, die viele Ressourcen beanspruchen und viel Raum einnehmen, sei es zur Lagerung von Materialien, zur Herstellung von Requisiten und Kostümen oder natürlich zum Proben und Planen. Die ersten zwei Jahre konnten wir die Räumlichkeiten des Waldhaus 12 e.V. ,des  Projekt 42, einer Konzert- und Veranstaltungslocation, und die Räumlichkeiten des Köntges, einem soziokulturellen Treffpunkt in der Altstadt, nutzen und uns darin frei bewegen. Ohne diese Möglichkeit, hätten unsere Projekte nicht stattfinden können. Immer mehr fühlten wir uns der Mönchengladbacher Altstadt zugehörig. Sie wurde ein Zuhause, ein Ort der Möglichkeiten, ein Ort der Inspiration, ein Ort der Vernetzung und ein Ort der Freiheit. Dementsprechend entstand auch der Wunsch, eigene Räume in der Altstadt zu beziehen und die Suche nach geeigneten und zugänglichen Räumen begann. Zu dem Zeitpunkt war in der Altstadt eine hohe Anzahl von leerstehenden ehemaligen Wohnhäusern, Kneipen und Diskotheken zu finden. Einige dieser Häuser stehen heute noch leer.

So führte nicht nur der Wunsch nach eigenen Räumen, sondern auch das Interesse an der Wiederbelebung und Rettung leerstehender Räume zu einer intensiven Auseinandersetzung und der Kontaktaufnahme zu Vermietern und Vermittlern. Die aktive Suche brachte uns Einblicke in das Innere verschiedener Locations. 

Schon während der Gründung des Kollektivs bestand immer der Gedanke der Gründung einer alternativen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft aus der Annahme heraus, dass Kunst alles umfasse und vom „Privatleben“ nicht abzuspalten sei gekoppelt mit einigen Prinzipien aus der Permakultur. So gestaltete sich die Suche nach einem Gebäude, das sowohl Wohnraum, als auch Arbeits- und Gemeinschaftsraum und Veranstaltungsräume umfassen kann.

Im Laufe der Zeit waren einige Räume im Gespräch. Es mangelte zum großen Teil entweder am Mietpreis oder an der baulichen Beschaffenheit, teilweise sogar an beidem. Wir mussten feststellen, dass der viele Raum, der so viele Möglichkeiten bot, aufgrund der jahrelangen Verwahrlosung zu einem großen Teil nicht mehr ohne genügend finanzielle Ressourcen gerettet und wieder aufgebaut werden kann, wenn überhaupt ein Kontakt zum Eigentümer hergestellt werden kann und er bereit ist, die Räume frei zu geben.

Zur gleichen Zeit richtete auch die Stadt ihre Aufmerksamkeit auf die Belebung des Leerstandes auf der Waldhausener Straße. Allmählich beschäftigten sich immer mehr Leute, teils auch in öffentlichen Positionen, mit dem Thema Leerstand und der Belebung und Gestaltung der Altstadt. Über den neuen Stadteilkoordinator Marius Müller, entstand der Kontakt zur GWSG, einer Immobilienverwaltungsfirma der Stadt Mönchengladbach, welche in Besitz eines leerstehenden Wohnhauses auf dem unteren Teil der Waldhausener Straße war. Ungefähr im Mai 2019 konnten wir das Haus besichtigen, erhielten temporär einen Schlüssel und gingen wenig später in die Verhandlungen. In den oberen Etagen hätten fünf Akteure leben können und das Erdgeschoss hätte als Gemeinschafts-, Arbeits-, Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche genutzt werden können.

Zum gleichen Zeitpunkt inittierte die Initiative Altstadt mit Fördergeldern der Stadt Mönchengladbach und auch in Kooperation mit der Stadt Mönchengladbach das Projekt „Vakanz“, ein Projekt, bei dem KünstlerInnen für eine gewisse Zeit ein leerstehender Raum mietfrei zur Verfügung gestellt werden sollte. SCHREI AUF e.V. sollte an diesem Projekt teilnehmen und unabhängig von der weiteren Verhandlung mit der GWSG die Räume des Hauses bespielen. So war ein vorläufiger Einzug in das Haus erst mal garantiert. Zur vorläufigen Nutzung des Hauses durch „Vakanz“ wurde der Schlüssel Herrn Müller, ebenfalls Projektleiter von Vakanz, überlassen.

Am 1. August 2019 war das Projekt „Vakanz“ bereits angelaufen und die oberen Etagen des Wohnhauses bereits mit unterschiedlichen KünstlerInnen besetzt. Der Start war plötzlich. Sofort holte die Vorsitzende des Vereins den Schlüssel wieder ab und fing an, die Räume für die erste Performance im Haus drei Tage später vorzubereiten.

Das Kollektiv, das sich gerade neu  zusammenfügte, begann sofort mit der Renovierung und Instandsetzung der Räume- es gab Einiges zu tun: Nicht nur die Vormieter hatten Spuren hinterlassen, sondern auch der jahrelange Leerstand.

Nach den ersten vier Wochen war die erste Renovierungsphase abgeschlossen und die Räume vorzeigbar. Innerhalb des Projekts „Vakanz“ konnten die Räume drei Monate lang kostenfrei genutzt werden. Was danach mit den Räumen geschehen sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Die ersten Zweifel und Sorgen machten sich breit, doch wir wollten bleiben – auch nach drei Monaten. So überlegten wir uns, wie wir ein Zeichen setzen können. Wir wollten zeigen, dass wir da sind, dass wir die Räume brauchen und wir wollten zeigen, wie viel wir bereit sind zu tun um die Räume zu halten und wie viel wir bereits getan haben.

So entstand die Idee, das SCHREI Hauptquartier offiziell zu öffnen – ohne Mietvertrag und ohne verbindliche Zusage.

Um 17.30 Uhr eröffnete der Musiker Lapis Exilis die Veranstaltung begleitet von einer Performance von Doro Frings und Laura Heyer. Während der Vereinigung elektronischer Beats, einer 8 seitigen Gitarre, etherischen Vocals und Live Looping durch Lapis Exilis verweilten die PerformerInnen zunächst in großen schwarzen Mülltüten, sodass es den Anschein machte, als hätte jemand den Müll im Veranstaltungsraum aus Versehen stehen lassen, und krochen allmählich ganz langsam aus den Mülltüten heraus. Mit weißer und schwarzer Körperschminke beschmiert endeten die PerformerInnen dann in einer abgewandelten Butoh- Tanzperformance. Die Performance symbolisierte den Weg, den das Kollektiv bereits hinter sich gebracht hatte: Aus dem Müll heraus in die Vereinigung und in die Bewegung.

 Im Anschluss folgte eine Performance der Tänzerin und Performance-Künstlerin Anja Abels, welche seit Eröffnung der Veranstaltung auf einem Stuhl im Veranstaltungsraum verweilte. Im Innenhof auf einer beschrifteten weißen Couch stehend, hielt die Vereinsvorsitzende Laura Heyer dann eine Rede über den Verein, über die Räume und über die Bedeutung von zugänglichen und nutzbaren Freiräumen innerhalb der freien Kunst- und Kulturszene. Im weiteren Verlauf des Abends waren Videoprojektionen der vorangegangenen Projekte zu sehen, Objektinstallationen und  eine Sound Installation von Jonas Gladbach. Der Künstler Manuel Brockers ließ sich mit seiner spielerischen Performance „STEAL MY MASK“ im Büro nieder. Bei dieser Performance trug der Künstler eine schwere, selbst hergestellte, abschließbare Gipsmaske, die nur durch das Finden des richtigen Schlüssels aufgeschlossen werden konnte. War ein Gast in der Lage, die Maske aufzuschließen, so musste er oder sie die Maske selbst tragen bis jemand zu Hilfe kam.

Neben künstlerischen Darbietungen konnte man selbstgemachte vegane Döner bei Leonie Dahmen und Janosch Marek (die späteren „Vervöner“) erhalten.

Die Resonanz war größer, als wir es uns vorstellen konnten. Alle Räume waren vollständig gefüllt mit Gästen, darunter viele Bekannte, Freunde und Unterstützer des Vereins, aber auch viele neue Gesichter. Bis zum Ende waren insgesamt etwa 70 Personen anwesend. Was besonders erfreulich war, war der Gewinn weiterer Vereinsmitglieder, die sich an Ort und Stelle dazu entschlossen, dem Kollektiv beizutreten. Die Stimmung war fröhlich und ausgelassen. Der Ort wurde zu dem Begegnungsort, den wir uns vorgestellt haben: Kreative, Künstler, Kulturschaffende, Nachbarn, Anwohner und Außenstehende kamen ins Gespräch und tauschten sich aus. Trotz vieler neuer Gäste war der Abend nahezu familiär. Wir haben einen Raum geschaffen, der vielseitig ist, vielseitig nutzbar, vielseitigen und unterschiedlichen Menschen als Basis diente und weiterhin dienen soll.

Zum ersten Mal waren wir selbst Veranstalter, trugen also selbst die Verantwortung, konnten aber auch alles selbst entscheiden und waren mit unseren Entscheidungen frei. Diese Tatsache stärkte unser Selbstbewusstsein, unsere Motivation und war auch die erste Möglichkeit, zu lernen, wie die Räume funktionieren und was alles nötig ist zur Umsetzung solcher Veranstaltungen. Zwar waren die Vorbereitungen mit viel Arbeit, viel Organisation und Planung verbunden neben der Herrichtung der Räume, dafür war die Veranstaltung selbst ein Abend in der Utopie als erster Schritt in die richtige Richtung- ein Abend im Paradies. Im Paradies des SCHREI AUF e.V..

Nach drei Monaten wurde das Projekt „Vakanz“ um drei weitere Monate verlängert. Es stand bereits der Vorschlag im Raum, das Haus als Atelierhaus zu nutzen mit unterschiedlichen KünstlerInnen in den Räumen in den oberen Etagen und SCHREI AUF e.V. im Erdgeschoss. Nach Abschluss von „Vakanz“ wurde dieser Vorschlag nach und nach in die Tat umgesetzt und alle Akteure im Haus sind offiziell Mieter geworden.

Ob der Entschluss, das Haus nun tatsächlich als Kunst-Ort freizugeben, durch die vorläufige Eröffnung des Hauptquartiers positiv beeinflusst wurde, ist nicht zu beantworten. Die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Hauseigentümern erwies sich zu aller Zufriedenheit als unkompliziert und konfliktfrei. Dennoch verbreitete die Eröffnung vor der offiziellen Eröffnung vielmehr einen idealistischen Wert, trug zum Zusammenhaltinnerhalb der Gemeinschaft bei, vernetzte Menschen miteinander, eröffnete neue Möglichkeiten und fungierte als Beweis für die Notwendigkeit von Freiräumen im Bereich der freien Kunst- und Kulturarbeit.  

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